Das Zielgruppenprinzip und der Arbeitsmarkt

René Jörges

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Bild von: Gerd Altmann/ auf pixabay.com

Das Zielgruppenprinzip und der Arbeitsmarkt

Ich habe gerade etwas Zeit und recherchiere auf dem Arbeitsmarkt nach offenen Stellen. Ich schaue auf LinkedIn, Xing, Stepstone. Ja, ich gebe zu, ich bin bequem. Ich habe keine Lust auf aufwendige Recherche in allen möglichen Portalen. Das brauche ich auch gar nicht. Unzählige Stellen poppen auf und ich habe das Gefühl, ich darf bequem sein, denn schnell wird klar, ich bin die heißbegehrte Mangelware. Ich bin eine Fach- und Führungskraft. Sind das nicht diejenigen, die ein knappes Gut auf dem Arbeitsmarkt darstellen? Ich teste das mal. Was ich auch gleich mal überprüfen möchte, ist, wie man sich um mich, die dringend gesuchte Fach- und/ bzw. Führungskraft, bemüht. Wird am Ende um mich gekämpft? Nebenbei erfahre ich auch gleich etwas über die heutige Art der Rekrutierung. Ich bin gespannt darauf, was sich da alles getan hat.

Nach 2 Stunden unterbreche ich das erste Mal meine Suche. Meine ersten Eindrücke sind:

• Es gibt gefühlt doppelt so viele Headhunter, wie noch vor 10 Jahren. Ja, Mangel ist ein Geschäft.

• Ich empfinde die optische Aufmachung der meisten Annoncen zeitgemäß und hip

• Viele Stellenausschreibungen sind auf Englisch und vermitteln mir ein internationales Flair

Was mir jedoch ebenso nach nur kurzer Zeit, mal abgesehen von den gruseligen Suchmaschinen-Ergebnissen, auffällt, ist der inflationäre Umgang mit Job-Titeln und Superlativen. HR Director für ein kleines, mittelständisches Unternehmen, welches nur einen Standort hat? Head of HR ohne Mitarbeiter in einer Personalabteilung? Vice President HR für eine Niederlassung mit 80 Angestellten? Ein Senior Global Business Partner für ein Familienunternehmen in Bayern? Eines haben die Anwender dieses Marketingtricks geschafft, ich habe mir alle Ausschreibungen angesehen. Großartig. Was Sie jedoch auch geschafft haben, ich bin frustriert nach dem Lesen der jeweiligen Ausschreibung. Im Zeitalter der Nachhaltigkeit suchen wir dringend Fach- und Führungskräfte mit Plagiatsverpackungen und Hütchen-Spieler-Tricks? Noch ermüdender wird es bei dem Studieren der beschriebenen Aufgaben. Die optisch modern wirkenden Stellenausschreibungen sind so fad, wie eh und je. Und es kommt noch schlimmer. Die meisten haben weder Aussagekraft noch passen sie zu den Heldentiteln. Entweder möchte man jemanden, der einen sehr abgegrenzten kleinen Spezialbereich beackert, oder es sind einfach mal alle Standardbegriffe der Personalarbeit aufgeführt. Super-Hero oft the HR-Universe gesucht für die Abarbeitung der letzten Mitarbeiterfeedback-Bögen. Für mich selbst möchte ich diese Wirkung etwas in meinen Kontext setzen. Es geht schließlich um mich. Ich bin der mögliche neue Mitarbeiter. Ich bringe dringend benötigte Erfahrungen in fachlicher Hinsicht, als auch im Bereich der Führung mit. Ich möchte ein Unternehmen, das authentisch ist, wo man sich einbringen kann, wo man Verantwortung übernehmen darf und Gestalten gewünscht ist. Und vor allem, wo man den Slogan “Unsere Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital…“, auch lebt. Mich beschleicht das Gefühl, das dieser Erwartung nicht viele gerecht werden können oder es fehlt den Verantwortlichen an Know How und oder an Kapazitäten. Lustig fand ich auch die Beschreibung bei einer Stelle für einen Global Head of HR einer Unternehmensgruppe in Europa (der Titel schien diesmal zutreffend zu sein), der direkt an den CEO und den Vorstand berichten soll. „…bei uns haben sie hervorragende Karrieremöglichkeiten“. Ich möchte gar nicht fragen welche.

Zwei Tage später habe ich mich wieder darauf eingelassen, mich auf diesen heißumkämpften Markt zu tummeln. Ich habe meine gedanklichen Suchfilter etwas anhand des Erlernten justiert und stieß auf ein paar interessante Jobs. Nun bieten diese Plattformen und Netzwerke, die ich eingangs nannte, ja einen großartigen Service. Man kann sich mit nur zwei Klicks unkompliziert bewerben, so heißt es zumindest. Meist wird sogar damit geworben, dass man kein Anschreiben benötigt. Super, das versuche ich gleich mal. Klick, klick, oh nein. Was ist das denn? Ich muss mich auf der Firmenseite aufwendig anmelden und einen Account einrichten. Der angepriesene Service für mich ist, ich kann jederzeit schauen, wie der Stand meiner Bewerbung ist. Ok, dann mache ich das mal. Fertig. Nächste Bewerbung… Um es kurz zu machen, ca. 30% der Firmen und Headhunter, bei denen ich mich bewerben wollte, verlangten ein solches Registrierungsverfahren. Das macht bei 10 ernsthaften Bewerbungen pro Woche ca. 12 Accounts und Passwörter im Monat, bei denen ich dann nachschauen kann oder vielleicht auch muss, um zu wissen, wie es um mich steht. Will ich das? Auf gar keinen Fall! Mich beschleicht das Gefühl, dass die Bewerbersoftware darauf ausgerichtet ist, es dem Anwender, den Personalabteilungen einfacher zu machen. Das ist auch absolut berechtigt und ein wichtiges Kriterium. Aber macht es das Ganze auch einfacher für die so heiß gegehrte Zielgruppe? Wohl nicht immer.

Das Telefon klingelt. Es ist einer der unzähligen Headhunter. Sie haben schnell auf meine Bewerbung reagiert. Schnell wird aber auch klar, dass der Arbeitsort nicht stimmt, hinter dem Versprechen teilweise remote arbeiten zu können verbarg sich die Garantie, hin und wieder mal von zuhause arbeiten zu können. Die Aufgabe konnte auch nicht klar beschrieben werden. Unbefriedigend. Ich bat darum, erst einmal all meine Punkte zu klären und mich dann wieder anzurufen. Einige werden es ahnen, es kam kein Anruf. Auch über Xing und LinkedIn fragte man mich schriftlich, ob wir mal telefonieren könnten. Wegen verschiedener Stellen mit verschiedenen Headhuntern. Ich möchte so viel verraten, es kam nicht jedes angefragte Telefonat, trotz Kalendertermin, zustande. Auch ein nachfragen, was damit sei, lief einige Male ins Leere. Ich stelle mir nach Abschluss meines Experimentes nun die wichtigste Frage. Kennen all die Unternehmen Ihre Zielgruppe und wissen sie, was für diese wichtig ist? Kleiner Exkurs. Ich glaube es ist unter Personalern ein running gag, wenn ein Abteilungsleiter mit einer Stellenfreigabe auf einen zukommt und nach schnellstmöglicher Besetzung dieser, am besten in 4 Wochen, fragt. Meist sammelt man dann mühsam, was der Kandidat machen soll, können muss, welche Schnittstellen wird er haben? Sehr häufig kann das nicht hinreichend beschrieben werden. Wie soll man den richtigen Kandidaten ansprechen, Interesse wecken, überzeugen und zeitnah einstellen, wenn die Kernaufgaben und Anforderungen nicht definiert werden können?

Für mich wird deutlich. Nicht alle Unternehmen richten ihre Suche und Aktivitäten an denen aus, die sie erreichen wollen. Das ist nur ein Beispiel, wo das Zielgruppenprinzip so wichtig ist. Diese Fragen helfen dabei, die Rekrutierung neuer Mitarbeiter erfolgreich zu gestalten:

  1. Was ist das genau für ein Job, den ich besetzen will?
  2. Wie sieht mein idealer Kandidat aus?
  3. Wer ist meine Zielgruppe?
  4. Wie möchte diese Zielgruppe angesprochen werden, wo agiert sie?
  5. Wie kann ich sie von meinem Unternehmen überzeugen?
  6. Was macht mein Unternehmen aus, was macht es so besonders?
  7. Wie kann ich es einem Interessenten so einfach wie möglich machen, mich als Unternehmen zu erreichen/ zu kontaktieren?
  8. Wie bleibe ich als Unternehmen im Gedächtnis?
  9. Wie würde ich mir eine optimale Kommunikation vorstellen?
  10. Welche Atmosphäre würde ich mir für ein erstes Kennenlernen vor Ort wünschen?

(Das jeweils verwendete generische Maskulinum bezieht sich auf m/w/d gleichermaßen!)